Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Am 13. Februar hielt der wiedergewählte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gegenüber der Bundesversammlung eine sehr eindrückliche Rede. Ich bin dankbar, dass ich live dabei sein durfte. Frank-Walter Steinmeier richtete darin folgende Sätze an seinen Mitbewerber Gerhard Trabert, Professor für Sozialmedizin und Sozialpsychiatrie, Vorsitzender des Vereins „Armut und Gesundheit in Deutschland“:
„Sie haben mit Ihrer Kandidatur auf ein Thema aufmerksam gemacht, das mehr Aufmerksamkeit verdient: die Lage der Ärmsten und Verwundbarsten in unserem Land. Dafür … gebührt Ihnen nicht nur Respekt, sondern ich hoffe, dass Ihr Impuls erhalten bleibt. Das Thema Obdachlosigkeit beschäftigt uns beide ‑ Sie wissen es ‑ seit langer Zeit. Warum schauen wir nicht, ob wir diesem drängenden Thema gemeinsam mehr Aufmerksamkeit verschaffen können?“
Auch wir als regierungstragende Fraktionen wollen mit dem Entschließungsantrag „Housing First“ dem Thema Obdachlosigkeit mehr Aufmerksamkeit verschaffen.
Ausdrücklich bedanken möchte ich mich an dieser Stelle bei den Kolleginnen von Bündnis 90/Die Grünen und der FDP, die bei unseren Beratungen im Sozialausschuss unterstrichen haben, dass das Thema Obdachlosigkeit für alle vier Fraktionen des Niedersächsischen Landtages sehr wichtig ist und dass wir gemeinsam und konstruktiv daran arbeiten, die Lebenssituation der ‑ wie der Bundespräsident es ausgedrückt hat ‑ „Ärmsten und Verwundbarsten“ zu verbessern.
Mit dem vorliegenden Entschließungsantrag wollen wir das Prinzip „Housing First“ landesweit umsetzen. Menschen brauchen einen sicheren Rückzugsraum. Dieser ist Ausgangspunkt für alles Weitere. Deshalb ist das Prinzip „Housing First“ ein richtiger Ansatz, bei dem wir den Menschen ohne Vorbedingungen eine Unterkunft geben. Dem sozialen Wohnungsbau kommt in diesem Zusammenhang natürlich eine bedeutende Rolle zu.
In allen Krisensituationen, wie zurzeit auch in der Pandemie, trifft es die Ärmsten zuerst und am härtesten. Es ist schmerzhaft deutlich geworden, dass die Infrastruktur vor Ort bisweilen mangelhaft ist und nicht den Standards entspricht. Hier kann und wird das Land den Kommunen unter die Arme greifen, damit die Menschen vor Ort die Hilfe erhalten, die sie brauchen. Das gilt auch für die Zeit nach der Pandemie.
Mit diesem Antrag wollen wir die Weichen neu stellen und das Thema Wohnungslosigkeit, wie der Bundespräsident es angemahnt hat, neu denken und angehen. Angebote vor Ort müssen besser ineinandergreifen und ausgebaut werden. Zudem werden wir gezielter auf die individuellen Problemlagen der Menschen eingehen müssen.
Menschen mit Suchterkrankungen beispielsweise müssen da abgeholt werden, wo sie sind. Deshalb brauchen wir Orte, an denen sich Menschen mit Suchterkrankungen aufhalten können und nicht in die Illegalität getrieben werden, was für die Betroffenen und die Gesellschaft immense Folgeprobleme schafft.
Zudem müssen wir wohnungslosen Frauen gezielt Aufmerksamkeit schenken. In allen Bereichen der Gesellschaft sind Frauen häufiger von Gewalt betroffen. Dies gilt auch für das Leben auf der Straße. Es ist gut, dass das Sozialministerium in dieser Legislaturperiode die Finanzierung und Durchführung einer ganzen Reihe von Modellprojekten ermöglicht hat, u. a. ein Modellprojekt für niedrigschwellige Hilfe für wohnungslose Frauen in Braunschweig. Die Beratungsstelle „Unter uns“ ist dort seit August 2019 am Start.
Auch der Aufbau des Social-Digital-Hub GrowPad ‑ eine Idee aus den Niederlanden ‑ kann ein Baustein sein, die Situation von wohnungslosen Frauen zu verbessern. In diesem Projekt geht es darum, Frauen virtuelle Orte zu geben, an denen sie wertvolle Unterlagen lagern und Erinnerungen speichern können.
Das beste Mittel allerdings, um Wohnungslosigkeit langfristig zu verhindern, bleibt natürlich, diese erst gar nicht entstehen zu lassen. Deshalb lohnt sich eine intensive frühe Beratung und Unterstützung, um den drohenden Verlust ‑ z. B. aufgrund einer Räumungsklage wegen angehäufter Mietschulden ‑ zu verhindern; denn ist eine Wohnung erst einmal verloren, sind die Folgekosten um ein Vielfaches höher als ein gezieltes Beratungsangebot.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Antrag gehen wir einen wichtigen Schritt, um die Situation der Ärmsten zu verbessern und den sozialen Frieden in unserem Land zu fördern.
Wir dürfen uns jedoch nicht täuschen lassen. Die Corona-Pandemie hat die Ungleichheit in unserem Land verstärkt und uns die Verwerfungen noch deutlicher vor Augen geführt. Wir müssen stärker als zuvor der Armut den Kampf ansagen, den Menschen die Angst vor einem sozialen Abstieg nehmen und den Zusammenhalt in unserem Land stärken. Dieser Antrag ist dabei ein Baustein, weitere werden folgen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Video der Rede finden Sie hier.