Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Namen meiner Fraktion danke ich den Grünen, dass sie mit dieser Großen Anfrage die queerpolitische Debatte in unser Plenum gebracht haben.
Nicht zuletzt die beeindruckenden Aktionen #ActOut und #OutInChurch, mit denen sich 185 Schauspielerinnen bzw. über 120 Mitarbeiter der katholischen Kirche als lesbisch, schwul, bisexuell, trans, inter und queer geoutet haben, zeigen die gesellschaftspolitische Relevanz des Themas. Die Bundesregierung hat erstmals einen Beauftragten für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Dieser konnte verkünden: Der Bundestag ist so queer wie nie!
Gleichzeitig wirft in eben diesem Hause eine Vertreterin des ganz rechten Randes ‑ oder muss ich „Flügel“ sagen? ‑ in einer Debatte um den Internationalen Frauentag am 8. März einem Großteil der Abgeordneten vor, einer Genderideologie anzuhängen, nicht ohne in zynischer, sarkastischer und menschenverachtender Weise eine Kollegin zu beleidigen. Glücklicherweise haben sich Vertreterinnen und Vertreter aller demokratischen Fraktionen mit der Betroffenen solidarisiert.
Heute sprechen wir über die dritte Option. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurde das Personenstandsgesetz richtigerweise geändert. Gesetze zu novellieren und damit an gesellschaftliche Realitäten anzupassen, reicht nicht. Wir müssen die gesamte Gesellschaft mitnehmen, aufklären, sensibilisieren und selbst Vorbild sein. Nur dann können Rechtsänderungen auch eine tatsächliche Besserung für Betroffene herbeiführen. Die Akzeptanz für nicht-heterosexuelle Menschen ist gestiegen. Dies war mit einer langen und intensiven gesellschaftlichen Debatte verbunden. Beim Thema Geschlechtsidentitäten ist das gesellschaftliche Bewusstsein leider noch nicht so weit. Aber auch die heutige Debatte ist ein Beitrag, dem Thema Öffentlichkeit zu verschaffen. Es ist wichtig, darüber zu diskutieren, damit wir Dinge erklären und für Akzeptanz werben können. Ablehnung und Unverständnis liegen häufig eine Unkenntnis und ein Nicht-Kennen zugrunde. Lassen Sie es mich klar sagen: Diskriminierung löst großes Leid bei den Betroffenen aus.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei aller Vielfalt der Identitäten lässt sich der Anspruch der SPD-Fraktion in einer schlichten Formel wiedergeben: Queere Rechte sind Menschenrechte, universell und egalitär. Unser Bild einer inklusiven Gesellschaft schließt ausdrücklich eine gleichberechtigte Teilhabe nicht nur aller Geschlechter, sondern auch Identitäten ein; denn Teilhabe in Vielfalt ist ein Gewinn für uns alle. Nun zu einigen ausgewählten Themenfeldern der Großen Anfrage bzw. den Antworten der Landesregierung.
Vorab möchte ich meinen ausdrücklichen Dank an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der verschiedenen Ministerien aussprechen. Ich finde, die zusammengetragenen Daten und Fakten, die dargestellten Maßnahmen und die aufgezeigten Handlungsfelder geben umfänglich Auskunft. So ist eine Übersicht entstanden, auf die ich in Zukunft wohl noch häufiger zurückgreifen werde. Im Hinblick auf die rechtliche und gesellschaftliche Anerkennung misst die Landesregierung der Aufklärungsarbeit eine hohe Bedeutung zu. Das unterstützen wir als SPD-Fraktion ausdrücklich.
Darauf, dass die Akzeptanz geschlechtlicher Vielfalt und das Durchbrechen binärer Vorstellungen von Geschlecht nicht nur durch rechtliche Vorschriften erfolgen können, sondern ein intensiver gesellschaftlicher Prozess sind, sind die Kolleginnen vor mir und auch ich schon eingegangen. Diesen intensiv zu unterstützen, auch im Hinblick auf die äußerst komplexe verwaltungstechnische Umsetzung der dritten Option, sollte sich nicht nur die Landesregierung zur Aufgabe machen, sondern auch die in diesem Parlament vertretenen demokratischen Parteien.
Hier bietet sich eine enge Kooperation mit dem Queeren Netzwerk Niedersachsen und dem Intergeschlechtliche Menschen Landesverband Niedersachsen zur Durchführung geeigneter Maßnahmen an. Die Landeskoordination Inter* ‑ Ministerin Behrens ist schon darauf eingegangen; das ist ein Kooperationsprojekt dieser beiden Verbände ‑ wird vom Land gefördert und kann uns dort mit Workshops, Schulungen, Beratungen und Kampagnen sicherlich gut unterstützen.
Da das Interesse am Thema Intergeschlechtlichkeit enorm zugenommen hat, ist perspektivisch ein Ausbau der Förderung von Aufklärungs- und Beratungsarbeit in Niedersachsen und auch bundesweit erforderlich – dies umso mehr, als das neue Kinder- und Jugendstärkungsgesetz ein flächendeckendes Beratungsangebot für Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern oder Sorgeberechtigten gesetzlich festgeschrieben hat.
Auch die Schule als wichtiger Sozialisationsort für Kinder und Jugendliche spielt hier eine entscheidende Rolle. Deshalb strebt die Landesregierung an, durch die Lehrkräftefortbildung das Wissen über Intergeschlechtlichkeit bei dem Lehrpersonal zu erhöhen. Das ist zu begrüßen, ebenso wie wir in diesem Zusammenhang die seit Jahren ehrenamtlich geleistete Arbeit des Bildungs- und Antidiskriminierungsprojektes „SCHLAU Niedersachsen“ sehr zu schätzen wissen.
Das längst fällige OP-Verbot aus dem Jahre 2021 wird das Thema zukünftig verstärkt in Kitas und Schulen sichtbar machen. Diese aktuellen Entwicklungen zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung werden von uns ebenso begrüßt wie von der Landesregierung. Viele intergeschlechtliche Kinder wurden in den letzten Jahrzehnten medizinisch nicht notwendigen Eingriffen unterzogen. Diese Übergriffe widersprechen dem Recht auf körperliche Unversehrtheit sowie dem Recht auf geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung. Die beim OP-Verbot noch bestehenden Umgehungsmöglichkeiten sollen laut Koalitionsvertrag der SPD-geführten Bundesregierung behoben werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein weiterer Blick in den Koalitionsvertrag der Ampel lohnt sich. Ich bin froh, dass endlich das sogenannte Transsexuellengesetz abgeschafft wird. Allein der Name dieses Gesetzes zeigt, wie alt und überholt es ist. Die darin enthaltenen Verfahren, insbesondere die psychologischen und medizinischen Untersuchungen, sind für die Betroffenen mit massiven psychischen Belastungen und Verletzungen verbunden und schlichtweg entwürdigend. Stattdessen wird ein Selbstbestimmungsgesetz kommen, nach dem es grundsätzlich per Selbstauskunft möglich ist, beim Standesamt den Geschlechtseintrag zu ändern. Dieser Schritt ist überfällig; so kann künftig Leid bei den Betroffenen vermindert werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein Aspekt, der viele Menschen in Wallung bringt: die Sprache. Ob und in welcher Form Sprache geschlechtersensibel sein soll, darüber scheiden sich die Geister. Für die einen ist es Ausdruck der Gleichstellung, für die anderen ist es Bevormundung. Unsere Sprache befindet sich im ständigen Wandel – dies ist nichts Neues. Begriffe wie „aufploppen“, „Influencer“, „Zwinkersmiley“, „Klimanotstand“ und auch „Gendersternchen“, „gendergerecht“ und „transgender“ haben ihren Weg nicht nur in den Alltagssprachgebrauch, sondern auch in den Duden gefunden.
Andere Begriffe, die noch vor 30 Jahren gang und gäbe waren, sind dagegen weitgehend verschwunden, weil sie verletzend und diskriminierend sind. Und das ist gut so. Geschlechtergerechte Sprache ist ein wichtiger Bestandteil, um die Diversität unserer Gesellschaft abbilden zu können. An diejenigen gerichtet, die auf dem sogenannten Maskulinum und der Behauptung, es seien ja immer alle mitgemeint, beharren, bemühe ich Frau Professorin Gabriele Diewald. Sie ist Inhaberin des Lehrstuhls für deutsche Gegenwartssprache am Deutschen Seminar der Leibniz Universität Hannover. Sie sagt ‑ ich zitiere ‑: Das sogenannte generische Maskulinum ist keine grammatische Regel des Deutschen. Es handelt sich um eine Gebrauchsgewohnheit bestimmter Maskulinformen zur Personenreferenz, die auf alten patriarchalen Haltungen aufsetzt und eindeutig diskriminierend ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss ein bisschen abkürzen. Die Große Anfrage mit ihren verschiedenen Unterthemen zeigt, wie komplex das Thema ist und wie breit wir die gesetzlichen und gesellschaftlichen Veränderungen denken müssen. Lassen Sie uns gemeinsam diese gesellschaftliche Kraftanstrengung meistern, die Debatte sachlich und ruhig führen, und lassen wir ‑ das ist ganz wichtig ‑ die Betroffenen zu Wort kommen! Diskriminierung entschieden entgegentreten und Menschenrechte zur Geltung bringen – das ist unsere Aufgabe.
Das Video der Rede finden Sie hier.